Wir haben Glück und können dann tatsächlich um 18 Uhr am Automat eines der noch zusätzlich freigegebenen Tickets buchen. Fünf Minuten später stehen wir dann schon mit Tatzel in der Warteschlange an der Fähre. Die Fähre hat laut Internet Platz für 21 oder 22 PKW, aber wenn ein LKW bucht reduziert sich die Anzahl natürlich drastisch, so auch heute abend. Bei unserer Buchung werden direkt zwei PKW Plätze belegt, ausser uns stehen nun aber noch ein riesiger Schwertransport sowie ein Milchlaster an. Kein Wunder das nun nur noch acht PKW drauf passen. Ruckzuck ist die Fähre voll beladen, der Milchlaster kommt als letzter drauf, denn an dem kommt keiner mehr vorbei. Wir setzen uns oben in den Aufenthaltsraum an Deck, zwischendurch gehen wir kurz raus und machen einige Photos von der Überfahrt. Als wir gerade ins Womo einsteigen wollen, rauscht eine Gischt Welle übers Deck und macht uns beide nass, na prima. Aber Tatzel hat ja eine Heizung, schnell sind wir wieder warm und trocken. Eigentlich hatte Peter einen Parkplatz westlich vom Hafen ausgesucht, aber der liegt im Wald und es ist mittlerweile stockfinster. Bevor wir uns das Womo verschrammen, weil wir die Äste nicht sehen können, suchen wir lieber einen Platz der über asphaltierte Strasse erreichbar ist. Und nur acht Kilometer östlich vom Fähranleger wird Peter fündig, ein winziger Hafen für ein Dutzend Boote hat laut Google einen schönen großen Parkplatz. Ausserdem soll es da noch einen Vogelbeobachtungsturm geben und ein Plumsklo. Perfekt für eine Nacht, da fahren wir hin. Der kleine Hafen ist gut 750 Meter hinter dem letzten Haus im Ort, ausser uns in niemand da. Morgen früh wollen wir als erstes auf den Turm, aber für heute Abend ist Feierabend. Zuerst rufen wir nochmal Muttern an, dann mache ich noch einen Teller belegte Brote. Später machen wir den Fernseher an und starten vor allem auch mal Heizung. Der Herbst ist da – mit einstelligen Temperaturen. In der Nacht hören wir zweimal ein Auto kommen, wenden und wieder wegfahren. Ansonsten ist es ruhig – falls man den Sturm und den peitschenden Regen ausser Acht lässt. Aber der Morgen weckt uns mit strahlendem Sonnenschein! Nach dem Frühstück geht es die wenigen Stufen rauf auf den Turm, wir tragen uns ins Gästebuch ein und dann ziehen wir auch schon los. Als erstes geht es von Tärkma – da stehen wir gerade - zum Leuchtturm von Ristna. Der Weg ist teils asphaltiert, teils Schotter, aber alles gut zu fahren. Der rote stählerne Leuchtturm ist abgesperrt, am Zaun hängt ein Schild mit den Öffnungszeiten: bis 30.09. (also morgen) täglich von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Ausserdem hängt dort eine Telephonnummer die man anrufen muss, dann kommt jemand zum Öffnen. Hm, eigentlich schade. Aber anrufen wollen wir auch nicht, wer weiß wie lang man dann warten muss. Also laufen wir am Zaun entlang bis zum Strand. Dort ist ein großes Surfcamp, das aber auch bereits im Winterschlaf ist, alles (inklusive WC Häuschen) ist bereits mit Brettern vernagelt. Wir machen noch ein paar Bilder der aufgewühlten See, dann laufen wir zurück zum Parkplatz. Nun geht es weiter zum Kõpu Leuchtturm, der ist nur 10 Kilometer entfernt. Die haben es allerdings in sich, der Weg wird immer schlechter, und 500 Meter vorm Ziel besteht der Weg, sofern man das noch so nennen kann, nur noch aus tiefen Schlaglöchern und es geht immer steiler hoch. Aber dann haben wir es geschafft und stehen am Parkplatz. Und ab hier ist die Strasse auch wieder asphaltiert. Google hat uns also mal wieder über die kürzeste Route geschickt. Wir müssen hier total aufpassen, gestern sollten wir auf einen Radweg abbiegen. Aber es ist ja alles gut gegangen, und wir stehen nun vor dem weltweit drittältestem Leuchtturm, der noch in Betrieb ist. Bei guter Sicht reicht sein Leuchtfeuer knapp 65 Kilometer weit. Der Ticketschalter ist geschlossen, aber der Betreiber kommt direkt angelaufen, als wir auf den Parkplatz fahren. Acht Euro später sind wir unterwegs auf den 36 Meter hohen Turm, die Aussicht ist schon toll. Die Treppen in dem Steinturm sind aber schon sehr speziell, die Stufen sind teils über 40 Zentimeter hoch. Der Turm hat einen quadratischen Grundriss und massive seitliche Stützmauern, die in die Haupthimmelsrichtungen zeigen. Früher war er niedriger und es brannte ein Holzfeuer in einer Schale. Erst viel später wurde er erhöht und ein optisches Lampensystem installiert. Wieder zurück am Boden kommt der Betreiber auf uns zu und erklärt uns mit Händen und Füssen, das er auch den Schlüssel für den Ristna Leuchtturm hat und fragt, ob er ihn für uns aufsperren soll. Das ist ein wirklich nettes Angebot, aber wir wollen nicht nochmal zurück, sondern haben noch einiges anderes auf dem Programm. Wir bedanken uns bei ihm (Aitäh heisst auf estisch Danke) und fahren weiter zum dritten und für heute letzten Leuchtturm. Das ist der der Tahkuna tuletorn, also der Leuchtturm von Tahkuna. Genau wie der Ristna Leuchtturm besteht dieser aus Gusseisenplatten, die in Frankreich hergestellt wurden. Allerdings ist der Leuchtturm in Tahkuna schneeweiss. Hier kostet der Eintritt für uns beide zusammen sechs Euro, und im inneren rankt sich eine stählerne Wendeltreppe an den Wänden entlang nach oben. Auch hier ist der Blick über die Ostsee atemberaubend, und der Sturm lässt den Turm zittern. Von hier oben sieht man auch das Mahnmal für den Untergang der Estonia, die ungefähr 30 Seemeilen entfernt von hier gesunken ist. Gestern hat sich der Untergang zum dreißigsten Mal gejährt. Wir verlassen den Turm und gehen nun an den Strand und schauen uns das Denkmal noch aus der Nähe am, es liegt ein frischer Kranz dort und es brennen viele Kerzen, sicherlich fand hier gestern ein Treffen von Hinterbliebenen statt. Wir verlassen diesen schönen, aber auch etwas traurigen Ort und fahren nun zwei Kilometer weiter, dort befindet sich eine ehemalige russische Militäranlage aus dem zweiten Weltkrieg. Wir klettern durch Geschützanlagen und Peter klettert auf einen alten (und sehr marode wirkenden) Wachturm, dann geht es weiter zum Militärmuseum, das aber leider auch bereits seit zwei Wochen geschlossen hat. Wir machen einige Photos der draussen ausgestellten Fahrzeuge und Denkmäler, dann pflücken wir noch einige Äpfel von einem der vielen voll hängenden Bäume. Weiter geht es nun zum Kreuzhügel. Hier haben damals die auf Erlass der Zarin Katharina zwangsumgesiedelten Schweden Kreuze hinterlassen, bevor sie in die heutige Ukraine deportiert wurden. Heute hinterlassen Touristen dort Kreuze bei ihrem ersten Besuch auf Hiimuaa (sagt zumindest unserer Reiseführer). Jetzt steht noch der Besuch der Kirche Kuriste auf dem Plan. Diese estnisch orthodoxe Kirche muss prachtvoll sein, und tatsächlich, das silberne Dach, der spitze Kirchturm und die Zwiebeltürmchen zusammen mit dem bunten Stein, das sieht beeindruckend aus. Leider können wir die Kirche nicht von innen besichtigen, aber der Umweg hat auf jeden Fall gelohnt. Nun machen wir uns auf den Weg zu unserem Tagesziel der Halbinsel Säretirp. Am Ende der Strasse, die in die Südspitze führt, ist ein großer Parkplatz. Übernachtungsparken ist hier ausdrücklich erlaubt, es gibt Mülleimer, zwei sehr ordentliche Plumksklos, USB Stromanschlüsse zum Laden von Handys etc., Brennholz und Feuerschalen um Lagerfeuer zu machen. Also ein toller Platz zum Übernachten!! Da die Sonne scheint (auch wenn es kalt ist) laufen wir nun noch die knapp zwei Kilometer bis ans Ende der Landzunge. Am Beginn ist die Landzunge noch breit, neben dem Weg befinden sich riesige Wacholderbüsche. Aber schnell geht die Flora zurück, und irgendwann laufen wir nur noch über einen Schotterweg, der immer schmaler wird. Rechts ist die rauschende Ostsee, deren Wellen sich wüst am Strand brechen, auf der linken Seite liegt die Ostsee spiegelglatt. Kurz bevor die letzten Steine sich im Wasser verlieren, drehen wir um und machen uns auf den Rückweg. Der Tag war lang, und wir sind hungrig. Wir freuen uns auf das Abendessen.
eowynrohan am 29. September 2024