Sonntag, 6. Oktober 2024
Bis gegen 1 Uhr nachts lärmen noch einige „Halbstarke“ auf dem Parkplatz, dann ist Ruhe. Erneut werden wir mit Sonne geweckt, wir freuen uns natürlich! Die gebuchte Führung durch die verlassenen Gebäude der Textilfabrik Kreenholmi startet erst mittags, daher laufen wir nach dem Frühstück erst einmal eine Runde unterhalb der Hermannsfeste am Fluss entlang. An beiden Ufern der Narwa stehen Angler, allein die Strömung entscheidet, ob der Fisch abends in Estland oder Russland in der Pfanne landet. Surreal wirkt die Ansicht einiger kleiner Fischerboote, die wie auf einer Perlenkette aufgereiht in der Mitte des Flusses Angeln – und direkt gegenüber steht ein Schiff der russischen Grenzer, die beobachten, dass sich die Schiffe nicht über die Flussmitte bewegen. Langsam laufen wir wieder zurück zu Tatzel, und um kurz nach 11 Uhr starten wir Richtung Kreenholm. Der Parkplatz ist noch leer, aber wir sind ja auch eine halbe Stunde vor Beginn der Führung dort. Bereits wenige Minuten nach uns kommen die nächsten und langsam füllt sich der Platz. Die Führung wird heute leider nur in estnisch und russisch angeboten, daher haben wir bereits vorher auf Wikipedia und der Website von „Visit Estonia“ recherchiert. Beim Zeigen der Tickets werden wir auch nochmal drauf hingewiesen, aber wir wollen ja vor allem schauen, nachlesen können wir den Rest auch später noch. Die nächste englische Führung gibt es halt erst nächstes Jahr, und wir wollen unbedingt die verlassenen riesigen Gebäude sehen und auf die Insel. Denn die Fabrik mit teilweise mehr als 10.000 Mitarbeitern war größtenteils auf einer Insel, die am Rand des Flusses Narwa liegt, nur einige kleinere Gebäude sind auch auf dem Festland von Narwa. Es gab auch ein Wasserkraftwerk, und je nach Wasserpegel donnerten mehrmals im Jahr zwei Wasserfälle durch das Fabrikgelände, und die Mitte der Narwa markiert die Grenze zu Russland. Heute ist dieser Bereich des Flussarms um die Insel wasserlos, die Russen fangen es bereits vorher ab. Daher sind auch Grenzzäune auf der Insel, da man sonst trockenen Fußes nach Russland könnte – oder auch umgekehrt. Nun beginnt die Führung und wir schliessen uns der russischen Gruppe an, die ist kleiner. Die Erklärungen verstehen wir zwar nicht, aber wir haben ja wie gesagt bereits viel drüber gelesen, ausserdem haben wir einen Übersichtsplan, was in den einzelnen Hallen passierte. Und manchmal übersetzt der Guide sogar kurz für uns. Die Führung geht über gut 2,5 Kilometer über das Gelände und wir können eine der riesigen Hallen betreten, in der noch ein originale Spinnmaschine steht. Die Führung soll 90 Minuten dauern, in Summe sind es dann aber fast zwei Stunden, und wir sind voll auf zufrieden, das war wirklich faszinierend. Wir sind gespannt was nun aus dem Gelände und den Gebäuden wird. Zum Teil wurden bereits Restaurierungen gestartet, aber der Guide erklärt uns, das auf Grund des Krieges das Geld erst einmal in den Wehretat geht, und alle Investitionen auf der Insel gestoppt sind. Ja, Krieg hat auch ungeahnte Auswirkungen. Wir machen uns nun auf den Weg zum Peipussee, unser erster Zwischenstop ist ein kleiner Leuchtturm bei Rannapungerja. Als wir ankommen sehen wir, das der Leuchtturm wirklich klein ist, der würde sogar in einen Garten passen. Aber der Blick auf den Peipussee ist unglaublich, man hat das Gefühl man steht am Meer. Nach einer Viertelstunde fahren wir weiter, nun geht es nach Mustvee. Dort soll es ein wunderschönes Tee- und Samowarhaus geben sowie ein Kunsthandwerkstübchen, aber wie vermutet hat das bereits für dieses Jahr geschlossen. Beim rein fahren in den Ort haben wir auch einen Stand mit Zwiebeln und Knoblauch entdeckt, kein Wunder, hier beginnt ja nun auch die sogenannte Zwiebelstrasse Estlands. Es ist bereits kurz vor 17 Uhr und wir entschliessen uns spontan, die Nacht hier zu verbringen. Am Hafen gibt es zwei Parkplätze die beide als Übernachtungsplatz empfohlen werden. Der erste, den wir anfahren, soll sogar Toiletten und Duschen haben. Allerdings müssten wir auf Rasen stehen, und bei vier Tonnen Gewicht und eventuell Regen haben wir Angst, uns morgen früh festzufahren. Also fahren wir dann doch ganze 100 Meter weiter auf einen riesigen asphaltierten Parkplatz, und dort steht bereits das Womo, das auch in Tallinn neben uns stand. Wir laufen als erstes eine Runde zur Mole, und treffen die beiden, natürlich halten wir erst einmal ein Schwätzchen. Dann laufen wir noch auf die andere Seite der Hafeneinfahrt, inspizieren die wirklich guten beheizten sanitären Anlagen und überlegen, ob wir noch duschen sollten. Aber wir haben ja erst vor zwei Tagen in Laheema geduscht, zuhause duschen wir auch nur einmal pro Woche, daher verwerfen wir den Gedanken wieder. Zurück am Womo rufen wir daheim an und quatschen lange mit Mama, bevor ich mich an die Tastatur setze und schreibe. Und dann geht es in die Planung der nächsten Tage - die Richtung ist klar, gen Süden führt unser Weg.



Samstag, 5. Oktober 2024
Der Morgen ist kalt, aber auch heute sollen wir wieder einen trockenen und teils sonnigen Tag haben, das sind ja tolle Aussichten. Wir verlassen den schönen Campingplatz und fahren heute als erstes eine gute halbe Stunde zu einem Wanderparkplatz in dem Dörfchen Käsmu. Dort gibt es einen tollen Rundwanderweg, der durch den Wald geht, dabei aber zum Teil direkt am Ostseestrand lang führt. Am Strand liegt direkt wieder ein großer Findling namens Vana-Jüri kivid, ausserdem können wir von hier aus noch einen knappen Kilometer auf der schmalen Landzunge Saartneem laufen, die ins Meer rein ragt. Im Sommer könnte man sogar von da aus noch eine kleine Insel erreichen, aber bei den Temperaturen haben wir keine Lust auf nasse Füsse. Die ganze Landzunge ist von verschieden großen Findlingen umgeben, auf einer Luftaufnahme im Internet sah es fast aus wie die Milchstrasse. Auf dem Wanderweg ist viel los, aber klar, es ist Wochenende und das Wetter ist schön, da lockt es auch andere raus. Unterwegs gibt es wieder jede Menge Findlinge zu sehen, die zum Teil wirklich riesig sind. Ausserdem ist der Weg mit unzähligen Schaukeln ausgestattet, die überall in den Bäumen hängen, und natürlich nicht nur Kinder zum Schaukeln animieren. Knapp sieben Kilometer später sind wir wieder am Wohnmobil zurück. Da der Parkplatz ist recht klein ist, mussten wir längs an einem Zaun parken, und natürlich sind wir nun vorne und hinten durch PKW eingeparkt. Aber Peter jongliert unseren Tatzel schnell raus, und weiter geht es nun zu dem größten Findling Estlands. Der liegt in der Nehrung des Fischerdorfes Letipea und hat ein Volumen von sagenhaften 930 m³. Der Stein scheint aber nicht viele zu interessieren, ausgeschildert ist zumindest nichts und der Trampelpfad, der zum Strand führt, ist auch nur mit Mühe zu finden. Aber Dank Google Maps finden wir den Stein natürlich, und die Sucherei hat gelohnt. Jetzt geht es zurück zum Womo, und es geht zu unserem heutigen Tagesziel, nach Narva. Narva ist eine Grenzstadt zu Russland, und bildet zusammen mit Iwangorod eine sogenannte Zwillingsstadt, die allerdings gerade strikt getrennt ist. Am Grenzübergang hat sich eine lange Schlange von Fußgängern gebildet, Fahrzeuge dürfen diesen Grenzübergang aktuell nicht passieren. Alles wirkt grau, trüb und traurig. Wir laufen vom Parkplatz aus hoch zur Hermannsfeste, die sich quasi Auge in Auge gegenübersteht mit der Festung Iwangorod. Die Sonne kommt gerade nochmal zwischen den Wolken hervor, und wir machen einige wunderschöne Aufnahmen der beiden Burgen. Nur getrennt durch die Narva und doch gefühlt Welten entfernt. Es ist ein sehr eigenes Gefühl, hier zu stehen und auf Russland zu blicken. Das macht vielleicht auch den Widerspruch dieser Stadt aus – 95% der Einwohner gehören der russischen Minderheit in Estland an, aber wie viele davon wollen wirklich wieder zu Russland gehören? Wir stellen wieder fest, dass es uns gut geht und wir sind dankbar für unser Leben. Für morgen hat Peter eine ganz spannende Sache gebucht, wir werden den alten Gebäudekomplex der Kreenholm Manufaktur besichtigen, heute Abend ist nichts mehr geplant. Langsam machen wir uns auf den Weg zurück zum Womo und ich hole direkt den Rechner raus für den Tagesbericht.



Freitag, 4. Oktober 2024
Wir werden von strahlendem Sonnenschein geweckt! Es ist zwar kalt, aber der Himmel ist blitzblau. Kurz nach unserer Ankunft vor zwei Tagen ist ein weiteres Wohnmobil hier auf den Parkplatz gekommen, ebenfalls aus Bayern. Bis dato haben wir immer nur kurz gegrüßt, aber nun halten wir doch noch ein Schwätzchen mit ihm, denn er schaut die ganze Zeit in unsere Richtung. Er fragt, wie unser Wohnmobil zu dem Namen gekommen ist, und wir lösen auf, dass unsere Jungfernfahrt über den Tatzelwurm Pass ging. Da musste er lachen, denn er wohnt dort um die Ecke. Langsam wollen wir aber los, daher wünschen wir ihm und seiner Frau noch eine gute Reise und starten. Als erstes geht es in den Osten der Stadt, dort gibt es eine Tankstelle die angeblich deutsche Gasflaschen auffüllt. Und das wäre wirklich prima, denn die erste unserer beiden Gasflaschen ist so gut wie leer, es sind vielleicht noch 200 oder 250 Gramm Gas drin. Aber der Herbst ist da und die Temperaturen gehen nachts bereits nahe an den Gefrierpunkt, daher wäre es gut, wenn beide wieder voll wären. Ja, und tatsächlich haben wir Glück, binnen fünf Minuten ist die leere Flasche aufgefüllt, für gerade mal 15,30 €. Wir sind begeistert, also frieren müssen wir diesen Urlaub sicherlich nicht. Nun geht es weiter, Peter hat als Zwischenstopp noch einen schönen Wasserfall rausgesucht. Man kann den Wasserfall von zwei Seiten anfahren, allerdings stellen wir fest, dass der von uns ausgewählte Parkplatz gerade auf Grund einer Baustelle nicht zu erreichen ist. Peter wendet und fährt noch mal knapp zwei Kilometer zurück, jetzt klappt es und wir kommen zum Parkplatz auf der gegenüberliegenden Seite. Das Wasser am Jägala donnert um die acht Meter in die Tiefe, allerdings läuft das Wasser aktuell nur auf der halben Breite, aber es sieht trotzdem toll aus. Nach einem Viertel Stündchen machen wir uns wieder auf den Weg, nun geht es in den Lahemaa Nationalpark, dort wollen wir den Majakivi - Pikanõmme Wanderweg laufen. Die Strassen sind überraschenderweise sehr gut ausgebaut, obwohl der Wanderparkplatz mitten im Wald liegt. Das hängt aber vermutlich damit zusammen, dass hier auch Linienbusse fahren. Der Parkplatz ist nicht riesig, aber es steht nur ein PKW dort, also haben wir massig Platz. Peter nimmt vorsichthalber den Rucksack mit, den bestücken wir mit Trinkflaschen und Müsliriegeln, und los geht es. Der knapp sieben Kilometer lange Lehrpfad führt in Form einer Acht durch den Wald und Sumpf, und führt an einigen beeindruckenden Findlingen vorbei. Auch hier gibt es wieder etliche Informationstafeln zur Vegetation, und der gesamte Rundweg ist grün-weiss markiert, selbst ich würde mich hier nicht verlaufen. Der Weg ist sehr unterschiedlich, wir laufen sowohl über breiten weichen Waldweg, dann verengt sich der Weg zu einem Trampelpfad, und immer wieder gibt es auch lange beplankte Stege. Das ist jedoch tückisch, denn mittendrin sind manchmal Bretter verrottet, man sollte seine Schritte mit Bedacht wählen, sonst landet man schneller im Moor als gedacht. Nun geht es weiter durch den Wald aus Fichten, Kiefern und Birken und wir kommen zum drittgrößten Findling Estlands, dem Majakivi. Mittels einer Leiter kann man den sieben Meter hohen Felsen besteigen, was wir natürlich auch umgehend tun. Mit seinem Umfang von mehr als 40 Metern ist der einfach gigantisch, wir sind gespannt, wie wohl der größte Findling Estlands erst aussieht. Ungefähr auf halber Strecke des Rundweges erreichen wir auf einer Sanddüne den Aussichtsturm Pikanõmme mit gut dreißig Metern Höhe. Zuerst geht es aber 62 Stufen bis zum Beginn des Turms, dann noch einmal 90 Stufen bis auf die oberste Aussichtsplattform. Ach ja, wenn wir für jede Stufe, die wir diesen Urlaub gelaufen sind, einen Euro bekämen, wäre der Urlaub längst bezahlt, und die beiden nächsten vermutlich auch. Aber schnell sind wir oben, und der Blick über die Bäume bis zur Ostsee ist bei dem Sonnenschein unglaublich. Weiter geht es über Stock und Stein und es wird spannend. Es gab die letzten Wochen starken Windbruch, und immer wieder ist der Weg durch umgestürzte Bäume blockiert. Meist klettern wir einfach flink drüber, aber einmal kommen wir an eine Stelle, da müssen wir großräumig umklettern und stehen dann irgendwann etwas verloren im dichten Gebüsch. Echtes Abenteuer – doch Peter führt uns dann doch wieder zurück auf den richtigen Pfad – zum Glück! Dann sind wir auch bald zurück am Womo. Als erstes koche ich einen Espresso in unserer kleinen neuen Bialetti Espressomaschine, die Mama uns noch extra für unsere Reise gekauft hat, dazu gibt es ein Stück von dem Marmorkäsekuchen aus dem Supermarkt. Gut gestärkt überlegen wir, wie es nun weiter geht. Peter hat noch eine tolle Wanderung hier in der Nähe herausgesucht, aber dafür ist es heute zu spät. Also fahren wir spontan den Campingplatz Lahemaa an. Das Tor ist zu, aber wir rufen einfach mal an. Und tatsächlich, wir sollen reinfahren, das Tor ist nur zugeschoben und nicht versperrt. Der Besitzer kommt später oder morgen zum Kassieren vorbei. Der Platz ist der Wahnsinn, direkt am Strand in einem lichten Wald, und dazu ein hübsches modernes Sanitärgebäude, und mal wieder ganz allein für uns. Wir laufen eine Runde am Strand entlang, dann gehen wir erst einmal duschen. Es gibt auch eine große Küche, also wird heute extern gekocht. Es gibt Bratkartoffeln und dazu Nacken Steaks, die wir vorhin noch im COOP gekauft haben. Während ich in der Küche bereits erste Vorbereitungen mache, kommt der Besitzer angefahren. Obwohl der Besitzer meint, dass wir erst morgen zahlen sollen, erledigt Peter das direkt, dann können wir morgen früh starten, wann immer wir wollen. Ich unterbreche das Zwiebelschneiden, denn wir wollen an den Strand und den Sonnenuntergang geniessen. Die Sonne versinkt leuchtend orange in der Bucht, wie gemalt. Ich husche mich wieder in die Küche, wir sind hungrig. Nach dem Abwasch klönen wir noch eine Weile mit Muttern, und dann machen wir es uns im Womo gemütlich. Während ich tipper plant Peter wieder die nächsten Tage. Bericht folgt.