Die Nacht ist etwas unruhig, immer wieder fahren Autos auf den Parkplatz oder direkt dran vorbei, wir stehen nun einmal in der Stadt. Und man lauscht doch immer mit einem Ohr, ob sich jemand dem Womo nähert, obwohl wir uns hier im Baltikum grundsätzlich sehr sicher fühlen. Der Morgen weckt uns kalt und grau, dabei sollte eigentlich bis zum frühen Nachmittag die meiste Zeit die Sonne durchblitzen, was sie aber gerade nicht tut. Doch das hält uns nicht davon ab, die Stadt zu erkunden. Als erstes fangen wir mit der Linnahalle an, die direkt neben dem Parkplatz ist. Dieser gigantische hässliche und marode Betonklotz würde auch in die NS Zeit passen, ist aber tatsächlich erst 1980 zu den Olympischen Spielen in Moskau gebaut worden, da ein Teil der Wettkämpfe in Tallinnn stattfanden. Der gesamte Innenbereich ist gesperrt, hier waren eine großer Eishalle und ein Konzertsaal, und auch im Aussenbereich sind viele Treppen und Flächen durch Bauzäune abgeriegelt. Vom Dach aus hat man einen tollen Blick über die Ostsee, aber mehr gutes kann man über den Schandfleck eigentlich nicht sagen. Nun geht es Richtung Altstadt, als erstes wollen wir zur Olaikirche, und zwar auf den Turm. Eigentlich gibt es keinen Seniorenrabatt, aber scheinbar schaut mein Mann so niedlich, dass die Dame an der Kasse ihm ein Schülerticket ausstellt. Die Plattform ist in 60 Metern Höhe, dazu müssen wir auf einer sehr schmalen steinernen Wendeltreppen 232 Stufen hochsteigen. Die Treppe ist wirklich eng, und jede Stufe hat eine andere Höhe, ausserdem sind die Stufen ausgetreten und sehr glatt. Das Ganze dann natürlich auch mit Gegenverkehr, da muss man sich dann wirklich aneinander vorbeikuscheln, und viel zum Festhalten gibt es auch nicht. Nichts für schwache Nerven, und ausserdem anstrengend. Dafür lohnt der Blick von oben. Wobei es eigentlich keine Aussichtsplattform ist, sondern die haben einfach oben auf dem Rand vom Dach ein paar schmale Gitteroste angebracht und ein paar Seile gespannt. Auch hier wird es eng, wenn man aneinander vorbei will. Aber wie gesagt, der Blick auf die Stadt ist toll, und wir laufen einmal drum rum und machen mal wieder viele Photos. Zurück nach unten geht es dann deutlich schneller, zumal wir auch fast keinen „Gegenverkehr“ haben. Wieder auf dem Boden angekommen, geht es nun weiter zu den Markthallen. Auch hier gibt es draussen wieder viele Stände mit Obst und Gemüse, die Preise sind aber sehr hoch, obwohl angeblich ja viele Einheimische hier einkaufen. Ich frag mich immer, wie die das machen? Das Durchschnittseinkomme in Estland ist laut Statistika ungefähr halb so hoch wie in Deutschland, aber viele Lebensmittel sind teurer als bei uns, nur Brot, Mehl, Milch etc. sind günstiger. Übrigens stehen auch hier wieder einige ältere Frauen, die vor dem Markt ihre gerade geernteten Moosbeeren und Blaubeeren verkaufen oder auch selbst gestrickte Socken, um sich etwas dazu zu verdienen. Und einige Male kommen uns auch ältere Menschen entgegen, die Flaschen aus Mülltonnen angeln, Altersarmut ist hier vermutlich auch ein Thema. Da merken wir wieder, wie gut es uns geht und sind echt dankbar dafür, dass wir uns eine solche Reise leisten können. Wir bummeln einmal über den Markt, dann machen wir uns auf den Weg zum Domberg. Und wieder heisst es Treppen steigen, von der Unterstadt auf die Patkulsche Aussichtsplattform sind es 157 Stufen. Die Aussicht ist toll, aber von der nächsten Plattform, die nur einige Strassen weiter ist, ist der Blick auf Tallinnn noch eindrucksvoller. Wir geniessen unseren ersten Glühwein der Saison, heiss und lecker wird er hier an kleinen Ständen mit den Schild „Glögg“ verkauft. Auf dem Weg zu der letzten Aussichtsplattform kommen wir am Dom vorbei, der jedoch recht unspektakulär aussieht, und das liegt nicht daran, dass er teilweise eingerüstet ist. Aber die nächste Kirche ist dafür um so sehenswerter, die Alexander-Newski-Kathedrale. Was für ein prachtvoller Bau mit diesen tollen Zwiebeltürmen. Auch von drinnen ist sie prunkvoll gestaltet, da wir keine Photos machen dürfen, kaufen wir eine Ansichtskarte. Nun setzen wir uns erst einmal kurz in den Park damit die Füsse mal Pause haben, und überlegen wo wir als nächstes hinlaufen. Als erstes natürlich zum Pikk Hermann, einem Turm der Teil des Tallinnnner Schlosses ist, vor dem wir gerade sitzen, und das Sitz des Parlaments ist. Als nächstes würde Peter gerne mal schauen, was das Kiek in de Kök Museum ist, da soll es einen unterirdischen Tunnel geben. Kiek in de Kök entpuppt sich dann als Festungsmuseum, das in vier Türmen an der Stadtmauer untergebracht ist, weiterhin gehört ein Gang durch einen Teil der Bastionstunnel dazu, die vermutlich ab 1670 erbaut wurden. Aber als erstes geht es für uns in die Türme, dort sind verschiedene Ausstellungen zum Leben in Tallinnn und auf dem Domberg in den letzten Jahrhunderten. In jedem Turm sind über mehrere Etagen verschiedene Ausstellungen, und von Turm zu Turm geht es über Gänge hoch oben in der Stadtmauer. Wir bekommen immer wieder einen schönen Blick auf den Domberg und die Stadt, vom letzten Turm aus müssen wir dann wieder nach vorne zum ersten Turm laufen. Dort erkunden wir nun auch noch alle Etagen, und von ganz oben haben wir noch einmal einen tollen Blick auf die Kathedrale. Nun geht es für uns in den Untergrund. Die Tunnel sind düster, die Beleuchtung ist auf das notwendigste beschränkt. Direkt zu Beginn stehen Warntafeln, dass es in den Tunneln keinen Handyempfang gibt (ist ja auch logisch), dass die Stufen nass und glitschig und auch die Decken teils sehr niedrig sind – es sind halt Tunnel… Die „Austellung“ ist gut gemacht, es wird gezeigt wie unterschiedlich die Tunnel, die sich im Durchschnitt zehn Meter unter der Erde befinden, über die Jahrhunderte genutzt wurden. Im Mittelalter als Unterschlupf für Soldaten, Munitionslager und Kerker, während der Weltkriege als Schutzbunker und Vorratslager für die Bevölkerung. Die Tunnel enden in einer Ausstellung von mittelalterlichen Steinmetzarbeiten, und am Platz der Freiheit kommen wir zurück ans Tageslicht. Nun laufen wir weiter zum Rotermann Quartier, dass uns gestern empfohlen wurde. Aber das entspricht dann gar nicht unseren Erwartungen, denn eigentlich gibt es hier nur Kneipen, Cafés und ein paar Galerien und seltsame Skulpturen. Wir laufen nun zurück und gelangen durch das Lehmtor zurück in die Altstadt und zum Rathausplatz, dort wollen wir uns die älteste noch existierende Apotheke der Welt anschauen. Die Apotheke existiert dort bereits seit mehr als 600 Jahren! Bevor wir uns ein Restaurant für das Abendessen suchen, gehen wir noch an den Speicherhäusern vorbei die den Namen „Drei Schwestern“ tragen. Naja, wir machen brav ein Photo, aber da gibt es hier deutlich schönere Speicherhäuser. Nun geht es zu dem kleinen japanischen Restaurant, dass wir gestern bereits gesehen haben. Ich möchte endlich mal Ramen probieren, und das steht auf der Speisekarte, die draussen aushängt. Und Peter hat Lust auf gebratene Nudeln, also kommt er hier auch auf seine Kosten. Das Restaurant ist ganz muckelig gemacht, auch wenn sich die Bedienung (vermutlich gleichzeitig auch der Chef?) nicht gerade überarbeitet. Das Essen dauert ewig, aber dafür ist es wirklich unglaublich lecker! Satt und müde machen wir uns nun auf die letzten 1,5 Kilometer. Und zumindest ich bin froh, als ich im Womo die Schuhe ausziehen kann, ich bin pflastermüde, für heute reicht es. Ich koche noch einen Espresso, und dann geht es ab an die Tastatur, heute gibt es ja einiges zu berichten. Peter plant bereits wieder unsere Weiterfahrt morgen, wir wollen als nächstes zum Lahemaaa Nationalpark.