Montag, 7. Oktober 2024
Wir sitzen bis Mitternacht und etwas darüber hinaus an der Planung der kommenden Tage, dann gehen wir müde ins Bett. Der nächste Tag weckt uns kalt – dafür aber sonnig und trocken. Als erstes fahren wir auf den 100 Metern entfernten Platz am Hafen. Dort fragt Peter freundlich nach, ob wir die WC-Kassette in den Toiletten dort entsorgen dürfen. Ja – wir dürfen, das ist ja schon mal prima. Dann gibt es auch noch Frischwasser, und kurze Zeit später sind wir dann wieder reisefertig und für mindestens drei weitere Tage „Autark“. Als erstes geht es nun nach Kallaste, zu den roten Felsen. Am Strand erwarten uns erst einmal wieder Treppenstufen, und die sind leider ziemlich morsch. Vorsichtig jede Stufe überprüfend steigen wir die Treppe hoch auf die Düne. Dann geht es auf der anderen Seite durch Brennnesseln und Gestrüpp wieder runter und wir stehen an den ersten roten Sandsteinfelsen mit kleinen Höhlen. Wir laufen weiter am Strand entlang, müssen dabei aber teils durch dickes Schilfs Dickicht, dann erreichen wir die nächsten Sandhöhlen. Nett anzuschauen, viel interessanter aber ist der Blick über den See. Denn eigentlich fühlt man sich wie am Meer, es ist weit und breit kein Land in Sicht, diese Größe ist unglaublich. Zurück am Womo geht es nun weiter zum Schloß Alatskivi. Eigentlich handelt es sich um ein Herrenhaus, aber es ist prachtvoll eingerichtet und auch von aussen sieht es eher aus wie ein Schlößchen. Leider können wir es nicht besichtigen, es öffnet erst wieder übermorgen, doch von draussen machen wir einige schöne Bilder. Dann ziehen wir unsere Wandersachen an, denn es gibt hier einen schönen Rundweg um den See, knapp fünf Kilometer, denn wollen wir jetzt laufen. Der Weg ist schön, es geht durch den Wald, mit Blick auf den kleinen See mit seinen vielen Schilfinseln. Zwischendurch müssen wir wieder mal klettern, da auch hier Bäume über dem Weg liegen. Dann kommen wir an einem umgestürzten Baum vorbei, aus dem einige Scheiben geschnitten sind. Man sieht, dass der Baum von innen hohl ist, dazu stehen zwei Warnschilder mit dem Hinweis: Achtung Honigbienen. Also scheinbar gab es im hohlen Stamm ein Nest, das beim Fällen des Baumes entdeckt wurde. Jetzt sind aber keine Bienen mehr zu entdecken, kein Wunder, wird es doch nachts fast frostig. Kurze Zeit später sind wir wieder am Womo, weiter geht es nun nach Nina zu dem Leuchtturm. Der ist jedoch eingerüstet und keine Augenweide, aber wir machen ein Photo der daneben stehenden “Kirche der Gottesmutter“ der Altgläubigen, einer estnisch-orthodoxen Kirche. Dann fahren wir weiter ins Zwiebeldorf Kolkja. Wie fast alles montags und dienstags hier hat das Museum der Altgläubigen heute geschlossen. Wir fahren weiter zu einem Zwiebelrestaurant, das auf der Seite von „Visit Estonia“ empfohlen wird. Optisch keine Augenweide, aber dafür werden wir vom Essen um so mehr überrascht. Wir bestellen uns als Vorspeisen Zwiebelsuppe bzw. Zwiebelsalat, danach nimmt Peter Fisch-Pelmeni (die russische Form von Piroggen) und ich einen Pfannkuchen gefüllt mit Zander. Das Essen ist heiss (wichtig!) und sehr lecker! Satt und zufrieden machen wir uns nun auf den Weg nach Tartu. Peter hat dort mitten im Zentrum einen Parkplatz gefunden, der pro 24 Stunden fünf Euro kostet. Wenn man bedenkt, dass hier sogar die Parkplätze der Supermärkte kostenpflichtig sind, ist das ein Schnäppchen. Es ist noch halbwegs früh und die Sonne lacht, also laufen wir erst einmal ins Städtchen. Die Aussichtsplattform der Johanniskirche hat heute geschlossen, daher laufen wir zum Einkaufszentrums Tasku, dort soll es auch eine Aussichtsplattform geben. Bei Interesse soll man sich an der Information melden. Das Einkaufszentrum entpuppt sich als himmelhohes Bürogebäude, in dessen unteren beiden Etagen sich verschiedenste Geschäfte befinden, die restlichen Etagen sind Büroräume. Drinnen stehen zwar keinerlei Schilder, aber wir fragen einfach mal an der Info. Und ja, für zwei Euro pro Person kann man auf die Plattform im 14 Stock. Allerdings muss die Dame der Info uns persönlich aufs Dach begleiten. Wir zahlen unseren Obulus, sie schliesst den Info Schalter und geht mit uns zu den Aufzügen. Wir fahren bis in den 13. Stock, die letzte Etage muss man laufen. Dann stehen wir vor einer Metalltüre. Sie schliesst uns die Türe auf und erklärt uns, dass wir so lange bleiben können, wie wir möchten. Runter kommen wir dann alleine. Und schwupps ist sie weg und wir stehen in 50 Metern Höhe und haben einen tollen Ausblick. Leider nur über eine Hälfte der Stadt, denn die Plattform ist quasi ein riesiger Balkon. Aber die in Summe vier Euro lohnen sich, so bekommen wir einen ersten Eindruck der Stadt. Die Altstadt sieht auf jeden Fall überschaubar aus, wir sehen die wichtigsten Kirchen, das Rathaus und die Universität von hier oben. Aber nun wollen wir die Altstadt erkunden, also geht es wieder runter. In kurzer Zeit erreichen wir den Rathausplatz mit dem bekannten Brunnen „Küssende Studenten“. Und ja, Tartu ist definitiv eine Studentenstadt, und die Universität dominiert das Leben hier. Ausserdem ist Tartu die Europäische Kulturhauptstadt 2024, und es sind wirklich überall Skulpturen zu entdecken. Ok, manche fallen in die Kategorie: Ist das Kunst oder kann das weg? Aber etliche sind auch wirklich schön, wie zum Beispiel die „küssenden Studenten“. Wir laufen kreuz und quer durch die Stadt, und scheinbar besteht Tartu nur aus einer sehr hübschen aber kleinen Altstadt, und aus einem halbem dutzend riesiger Einkaufszentren. Wir laufen über die Brücke Karsild, die über den Fluß Emajõgi führt. Die ursprüngliche Steinbrücke wurde im zweiten Weltkrieg gesprengt, danach wurden die Menschen dann mit Ruderbooten über den Fluß gebracht. Erst 1957 wurde auf den alten Fundamenten die neue Brücke gebaut. Abends ist die Brücke erleuchtet, als wir vorbei gehen in den Nationalfarben der Ukraine. Die Unterstützung der Ukraine (zumindest moralisch) sehen wir im Baltikum immer wieder. Als wir erneut am Rathausplatz vorbeikommen beginnt gerade das Glockenspiel, wunderschön! Wir haben viel Spaß und der Nachmittag und Abend vergehen wie im Flug. Bei unserem Rundgang kommen wir an der Universität vorbei, ein wunderschönes Gebäude. Und wir nutzen das direkt um mal kurz „Kaffee wegzubringen“. Erst weit nach Anbruch der Dunkelheit sind wir zurück am Womo. Morgen wollen wir weiter die Stadt erkunden, als erstes geht es auf den Markt, der sich direkt neben unserem Parkplatz befindet, danach wollen wir in den botanischen Garten. Und dann? Wir werden sehen…



Sonntag, 6. Oktober 2024
Bis gegen 1 Uhr nachts lärmen noch einige „Halbstarke“ auf dem Parkplatz, dann ist Ruhe. Erneut werden wir mit Sonne geweckt, wir freuen uns natürlich! Die gebuchte Führung durch die verlassenen Gebäude der Textilfabrik Kreenholmi startet erst mittags, daher laufen wir nach dem Frühstück erst einmal eine Runde unterhalb der Hermannsfeste am Fluss entlang. An beiden Ufern der Narwa stehen Angler, allein die Strömung entscheidet, ob der Fisch abends in Estland oder Russland in der Pfanne landet. Surreal wirkt die Ansicht einiger kleiner Fischerboote, die wie auf einer Perlenkette aufgereiht in der Mitte des Flusses Angeln – und direkt gegenüber steht ein Schiff der russischen Grenzer, die beobachten, dass sich die Schiffe nicht über die Flussmitte bewegen. Langsam laufen wir wieder zurück zu Tatzel, und um kurz nach 11 Uhr starten wir Richtung Kreenholm. Der Parkplatz ist noch leer, aber wir sind ja auch eine halbe Stunde vor Beginn der Führung dort. Bereits wenige Minuten nach uns kommen die nächsten und langsam füllt sich der Platz. Die Führung wird heute leider nur in estnisch und russisch angeboten, daher haben wir bereits vorher auf Wikipedia und der Website von „Visit Estonia“ recherchiert. Beim Zeigen der Tickets werden wir auch nochmal drauf hingewiesen, aber wir wollen ja vor allem schauen, nachlesen können wir den Rest auch später noch. Die nächste englische Führung gibt es halt erst nächstes Jahr, und wir wollen unbedingt die verlassenen riesigen Gebäude sehen und auf die Insel. Denn die Fabrik mit teilweise mehr als 10.000 Mitarbeitern war größtenteils auf einer Insel, die am Rand des Flusses Narwa liegt, nur einige kleinere Gebäude sind auch auf dem Festland von Narwa. Es gab auch ein Wasserkraftwerk, und je nach Wasserpegel donnerten mehrmals im Jahr zwei Wasserfälle durch das Fabrikgelände, und die Mitte der Narwa markiert die Grenze zu Russland. Heute ist dieser Bereich des Flussarms um die Insel wasserlos, die Russen fangen es bereits vorher ab. Daher sind auch Grenzzäune auf der Insel, da man sonst trockenen Fußes nach Russland könnte – oder auch umgekehrt. Nun beginnt die Führung und wir schliessen uns der russischen Gruppe an, die ist kleiner. Die Erklärungen verstehen wir zwar nicht, aber wir haben ja wie gesagt bereits viel drüber gelesen, ausserdem haben wir einen Übersichtsplan, was in den einzelnen Hallen passierte. Und manchmal übersetzt der Guide sogar kurz für uns. Die Führung geht über gut 2,5 Kilometer über das Gelände und wir können eine der riesigen Hallen betreten, in der noch ein originale Spinnmaschine steht. Die Führung soll 90 Minuten dauern, in Summe sind es dann aber fast zwei Stunden, und wir sind voll auf zufrieden, das war wirklich faszinierend. Wir sind gespannt was nun aus dem Gelände und den Gebäuden wird. Zum Teil wurden bereits Restaurierungen gestartet, aber der Guide erklärt uns, das auf Grund des Krieges das Geld erst einmal in den Wehretat geht, und alle Investitionen auf der Insel gestoppt sind. Ja, Krieg hat auch ungeahnte Auswirkungen. Wir machen uns nun auf den Weg zum Peipussee, unser erster Zwischenstop ist ein kleiner Leuchtturm bei Rannapungerja. Als wir ankommen sehen wir, das der Leuchtturm wirklich klein ist, der würde sogar in einen Garten passen. Aber der Blick auf den Peipussee ist unglaublich, man hat das Gefühl man steht am Meer. Nach einer Viertelstunde fahren wir weiter, nun geht es nach Mustvee. Dort soll es ein wunderschönes Tee- und Samowarhaus geben sowie ein Kunsthandwerkstübchen, aber wie vermutet hat das bereits für dieses Jahr geschlossen. Beim rein fahren in den Ort haben wir auch einen Stand mit Zwiebeln und Knoblauch entdeckt, kein Wunder, hier beginnt ja nun auch die sogenannte Zwiebelstrasse Estlands. Es ist bereits kurz vor 17 Uhr und wir entschliessen uns spontan, die Nacht hier zu verbringen. Am Hafen gibt es zwei Parkplätze die beide als Übernachtungsplatz empfohlen werden. Der erste, den wir anfahren, soll sogar Toiletten und Duschen haben. Allerdings müssten wir auf Rasen stehen, und bei vier Tonnen Gewicht und eventuell Regen haben wir Angst, uns morgen früh festzufahren. Also fahren wir dann doch ganze 100 Meter weiter auf einen riesigen asphaltierten Parkplatz, und dort steht bereits das Womo, das auch in Tallinn neben uns stand. Wir laufen als erstes eine Runde zur Mole, und treffen die beiden, natürlich halten wir erst einmal ein Schwätzchen. Dann laufen wir noch auf die andere Seite der Hafeneinfahrt, inspizieren die wirklich guten beheizten sanitären Anlagen und überlegen, ob wir noch duschen sollten. Aber wir haben ja erst vor zwei Tagen in Laheema geduscht, zuhause duschen wir auch nur einmal pro Woche, daher verwerfen wir den Gedanken wieder. Zurück am Womo rufen wir daheim an und quatschen lange mit Mama, bevor ich mich an die Tastatur setze und schreibe. Und dann geht es in die Planung der nächsten Tage - die Richtung ist klar, gen Süden führt unser Weg.



Samstag, 5. Oktober 2024
Der Morgen ist kalt, aber auch heute sollen wir wieder einen trockenen und teils sonnigen Tag haben, das sind ja tolle Aussichten. Wir verlassen den schönen Campingplatz und fahren heute als erstes eine gute halbe Stunde zu einem Wanderparkplatz in dem Dörfchen Käsmu. Dort gibt es einen tollen Rundwanderweg, der durch den Wald geht, dabei aber zum Teil direkt am Ostseestrand lang führt. Am Strand liegt direkt wieder ein großer Findling namens Vana-Jüri kivid, ausserdem können wir von hier aus noch einen knappen Kilometer auf der schmalen Landzunge Saartneem laufen, die ins Meer rein ragt. Im Sommer könnte man sogar von da aus noch eine kleine Insel erreichen, aber bei den Temperaturen haben wir keine Lust auf nasse Füsse. Die ganze Landzunge ist von verschieden großen Findlingen umgeben, auf einer Luftaufnahme im Internet sah es fast aus wie die Milchstrasse. Auf dem Wanderweg ist viel los, aber klar, es ist Wochenende und das Wetter ist schön, da lockt es auch andere raus. Unterwegs gibt es wieder jede Menge Findlinge zu sehen, die zum Teil wirklich riesig sind. Ausserdem ist der Weg mit unzähligen Schaukeln ausgestattet, die überall in den Bäumen hängen, und natürlich nicht nur Kinder zum Schaukeln animieren. Knapp sieben Kilometer später sind wir wieder am Wohnmobil zurück. Da der Parkplatz ist recht klein ist, mussten wir längs an einem Zaun parken, und natürlich sind wir nun vorne und hinten durch PKW eingeparkt. Aber Peter jongliert unseren Tatzel schnell raus, und weiter geht es nun zu dem größten Findling Estlands. Der liegt in der Nehrung des Fischerdorfes Letipea und hat ein Volumen von sagenhaften 930 m³. Der Stein scheint aber nicht viele zu interessieren, ausgeschildert ist zumindest nichts und der Trampelpfad, der zum Strand führt, ist auch nur mit Mühe zu finden. Aber Dank Google Maps finden wir den Stein natürlich, und die Sucherei hat gelohnt. Jetzt geht es zurück zum Womo, und es geht zu unserem heutigen Tagesziel, nach Narva. Narva ist eine Grenzstadt zu Russland, und bildet zusammen mit Iwangorod eine sogenannte Zwillingsstadt, die allerdings gerade strikt getrennt ist. Am Grenzübergang hat sich eine lange Schlange von Fußgängern gebildet, Fahrzeuge dürfen diesen Grenzübergang aktuell nicht passieren. Alles wirkt grau, trüb und traurig. Wir laufen vom Parkplatz aus hoch zur Hermannsfeste, die sich quasi Auge in Auge gegenübersteht mit der Festung Iwangorod. Die Sonne kommt gerade nochmal zwischen den Wolken hervor, und wir machen einige wunderschöne Aufnahmen der beiden Burgen. Nur getrennt durch die Narva und doch gefühlt Welten entfernt. Es ist ein sehr eigenes Gefühl, hier zu stehen und auf Russland zu blicken. Das macht vielleicht auch den Widerspruch dieser Stadt aus – 95% der Einwohner gehören der russischen Minderheit in Estland an, aber wie viele davon wollen wirklich wieder zu Russland gehören? Wir stellen wieder fest, dass es uns gut geht und wir sind dankbar für unser Leben. Für morgen hat Peter eine ganz spannende Sache gebucht, wir werden den alten Gebäudekomplex der Kreenholm Manufaktur besichtigen, heute Abend ist nichts mehr geplant. Langsam machen wir uns auf den Weg zurück zum Womo und ich hole direkt den Rechner raus für den Tagesbericht.